Leseprobe
Hier finden Sie einen Auszug aus meinem Buch. Ich hoffe, er macht Ihnen Appetit auf mehr...
Nach dem Coming Out: Jan zeigt sich Rena zum ersten Mal im Kleid.
Es regnete immer noch. Die Illustrierte war Rena von den Knien gerutscht und lag auf dem Boden. Willi hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Rena sah den Kater an und als sie ihn streichelte, begann er zu schnurren.
Dann erregte ein anderes Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Sie hörte auf, Willi zu streicheln und lauschte. Auf dem Flur tat sich etwas. Rena spürte, wie die Anspannung in ihr wuchs: »Was, wenn Jan sein Kleid anzieht und hier hereinkommt? Was mache ich dann?«
Wieso hatte sie eigentlich Angst vor einem Mann im Kleid? Weshalb brachte sie allein der Gedanke daran dermaßen aus der Fassung?
Rena hatte schon Männer in Frauensachen gesehen, aber immer nur im Fernsehen. Das hier war jedoch etwas ganz anderes, das richtige Leben! Diesen Mann im Kleid kannte Rena höchstpersönlich. Es war Jan, ihr eigener Freund.
Sie nahm sich fest vor, nicht zu lachen. »Ich werde ganz normal sein und so tun, als ob nichts los sei. Hoffentlich schaffe ich das.«
Plötzlich stand er im Zimmer. Rena hatte ihn gar nicht hereinkommen hören. Jan trug sein Kleid, dazu Strümpfe und Pumps.
In den Frauensachen wirkte er etwas seltsam und fremd auf Rena. Aber sie musste nicht lachen. Weshalb hätte sie das auch tun sollen?
»Na, wie sehe ich aus?«, fragte Jan.
Rena musterte ihn schweigend. Sie empfand tiefes Mitleid mit Jan. In ihren Augen sah er wie ein trauriger Clown aus. Er trug zwar ein Kleid, aber er wirkte darin nicht sehr weiblich.
»Hast du kein Schminkzeug oder eine Perücke?«
Jan zögerte. »Weißt du, so einfach ist das nicht. Die Heimlichtuerei hat mich quasi dazu gezwungen, mit möglichst wenigen Dingen zufrieden zu sein. Je weniger Teile ich verstecken musste, desto geringer war die Gefahr, mal eines offen liegen zu lassen. Wenn du es dann gefunden hättest …«
Rena war traurig und enttäuscht. Schon wieder kam sie sich wie ein grässliches Monster vor und nicht wie ein menschliches Wesen, mit dem man hätte reden können. Schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab. Sich länger damit zu befassen, tat zu sehr weh. Außerdem befürchtete sie, Jan könnte ihren Kummer womöglich bemerken. Genau das wollte sie auf keinen Fall, denn dadurch wäre alles noch komplizierter geworden, als es sowieso schon war.
Sie gingen auf den Flur, Kater Willi im Schlepptau. Dabei fiel Rena auf, wie gut und sicher Jan in den Pumps laufen konnte. Sie war beeindruckt. Jan bewegte sich irgendwie anders als sonst – weiblicher. Er machte kleine Schritte, schwang die Hüften. Jan schwebte beinahe über den Boden und bewegte sich sehr elegant. Rena vermutete, dass ihr Freund von seinen tänzerischen Fähigkeiten profitierte. Willi strich Jan um die Beine. Rena registrierte dies mit Erstaunen und sagte: »Guck dir mal den Kater an. Was ist denn mit dem los? Das hat der doch noch nie bei dir gemacht!«
»Stimmt nicht«, erwiderte Jan und grinste. Rena schaute ihn fragend an. Jan schlug sich an die Stirn und sagte: »Ach so, das kannst du ja gar nicht wissen. Der Kater ist immer ganz anschmiegsam, wenn ich mich umziehe. Willi steht eben auf Frauen.«
Jan lachte und Rena sagte: »Nur gut, dass Willi keine Klamotten braucht! Wer weiß, was der so anziehen würde.«
»Der Knabe wäre womöglich auch ein Transvestit«, vermutete Jan.
Nun mussten sie beide lachen. Plötzlich hielt Rena inne und dachte: »Was machen wir hier eigentlich? Vorgestern wäre das undenkbar gewesen. Da hatte ich ja noch gar keine Ahnung. War das nun besser oder schlechter gewesen?« Diese Frage konnte Rena heute nicht beantworten. Mit einem Transvestiten zusammenzuleben, war noch zu neu für sie.